TENAQUIP :: Eine Berufs-Schule für Permakultur Landwirtschaft

Es ist das dritte Jahr, dass wir hier nach TENAQUIP kommen. Die Anlage hat sich zu unserem Flaggschiff entwickelt, alle bisherigen Erfahrungen kommen hier zusammen. Es ist die grösste zusammenhängende Anlage, und auch die Anlage mit dem grössten Multiplikatoreffekt für die neue Technologie.

Die Schulgemeinschaft bei ihrem 10.jährigen Jubiläum.

Wir haben uns für diesen Einsatz wieder Grosses vorgenommen. Nachdem wir im Sommer Unmengen an Erde bewegt haben, geht es nun darum, die Anlage voll zu bepflanzen und in die Produktion zu bringen. In der ersten Dezemberwoche habe ich den Einsatz vorbereitet, unter anderem war ich drei Tage an der Schule und habe zusammen mit dem Gärtnerteam die erste Terrasse nivelliert und fertig angelegt. Wir benutzen einen transparenten Schlauch, der mit Wasser gefüllt ist. Eine Schlauchwaage. Damit können wir die Gräben in der Terrasse genau ausrichten, das Ziel ist es, dass sich die Wege in der Terrasse bei Regen soweit füllen, dass die Beete nur noch 5 Zentimeter über dem Wasser sind. Die Beete sind etwa 35 Zentimeter hoch- so füllen sich die Gräben, welche die Wege sind, 30 Zentimeter tief mit Wasser. Dieses Wasser sickert sodann nach unten und seitlich in die Erde ein, anstatt abzufliessen und trockene, erodierte Erde zu hinterlassen.

Die Wege füllen sich und bewässern die Terrassen.

So sorgt dieses Design für feuchte Erde, Grundwasser und gute Wachtstumsbedingungen. Recht schnell keimen dann auch unsere Bohnen und unser Mais aus dem Stroh-Mulch, welche die Erde vor Austrocknung und Verwaschung schützt.

Nach diesem Modell werden wir in den nächsten Wochen alle Terrassen fertigstellen. Die Studenten (welche aus dem ganzen Land zusammen kommen) lernen so, wie die neuen Pflanztechnologien funktionieren. Sie sind Träger des Wissens und haben die Aufgabe und die Verantwortung, dieses Wissen mit ihrem Volk zu teilen. Ich kann es unmöglich allen erklären.

Topon’Andraikitra

„Verantwortung“ – Andraikitra – und „Verantwortliche/r“ – topon’andraikitra – das sind meine neuen Vokabeln zum lernen. Neben den praktischen Arbeiten haben wir diesmal vor allem viel Zeit für Unterrichtsstunden und für Gruppenbesprechungen im Gärtnerteam. Das System wird nur funktionieren, wenn die Menschen Verantwortung übernehmen. Bisher war es vor allem das Projekt vom „Vahazaha Luca (der weisse Lukas)“, und das stimmt auch zu einem guten Anteil. Nun geht es darum, das Projekt zu übergeben, sodass die Menschen darin ihren Platz einnehmen und ihre Verantwortung übernehmen können. Daran mangelt es noch, insgesamt ist Verantwortungsbewusstsein in diesem Land nicht besonders gross geschrieben. Ich bringe dieses Anliegen zuerst in das Schulkommitee, in welchem sich die verschiedenen Abteilungen der Schule zusammentun.

Sodann fange ich an, das Thema in der Gruppe anzusprechen, die Dinge, welche in den letzten Jahren mangels Verantwortungsbewusstseins nicht funktioniert haben. Der Chefgärtner beschuldigt die Arbeiter und die Arbeiter beschuldigen den Chefgärtner. Alle zusammen beschuldigen die Umstände. Ein simples System, bei dem sich alle aus der Verantwortung stehlen könnnen. Ein Phänomen, welches global zu beobachten ist. Sodann aber beginnen wir zu diskutieren, wie sich dies ändern lassen könnnte. Alle sehen ein, dass es keinen Sinn ergibt. Wir müssten die Verantwortung aufteilen, dass damit alle im Team Verantwortung tragen dürfen und müssen. Jede/r wäre topon’andreikitra.

Damit einhergehend sollen sie aber auch Privilegien bekommen. Sie sollen alle den gleichen Lohn bekommen, was für die meisten eine Lohnerhöhung bedeutet (alle ausser dem Chefgärtner), und sie sollen an der Ernte beteiligt werden. Mit der Zeit soll der Lohn verringert werden, im Gleichschritt mit der Verbesserung der Ernte. Ob die Ernte wirklich gut wird, hängt ja nun vor allem von den Gärtnern ab. Somit sollten wir sie ins Boot holen können. In der Gruppenbesprechung wird das mögliche Konzept mit Interesse aufgenommen, sodann kommuniziere ich die Idee zu den Projektverantwortlichen in Kanada. Von dort kam schon vor meinem Einsatz der Aufruf, vermehrt die Menschen einzubinden.

In den letzten Jahren war ich vor allem mal Boss, der eine riesen Menschenmenge zu koordinieren hatte. Die einzelnen Menschen miteinzubeziehen war schwierig. Unmengen an Arbeit und das Interesse war noch nicht so gegeben, vor allem war es von Anfang an schwer, die Ideen zu vermitteln, die noch nicht physisch sichtbar und somit fassbar waren. Die Entscheidung war also damals, zuerst einmal möglichst gut funktionierende Permakulturanlagen zu erstellen, in der Hoffnung, das Interesse dann wecken zu können. Zu dieser Strategie hat es enorm geholfen, die Ausbildungsprogramme zu machen. Zwar konnten nur einige dabei direkt teilnehmen, diese aber ihr Horizont deutlich erweitern. Wir hatten Zeit, uns besser kennen zu lernen; ich lernte über ihre Bedürfnisse, Nöte und Sorgen und sie entwickelten ein Verständnis für meine Intention. Dadurch bauen wir langsam Grenzen und Mauern ab, um danach wirklich am gleichen Ziel zu arbeiten – die Armut in Madagaskar zu beenden und die „rote Insel“ in ein neues grünes Kleid zu hüllen!

Garten mit Mischkultur bringt die Fruchtbarkeit, den Ertrag und den Wohlstand zu den Menschen.

Schon im Jahr 2016 habe ich Kanada einen Plan vorgelegt, wie die Schule mittels Permakultur ökonomisch unabhängig gemacht werden kann. Aus verschiedenen Gründen wurde nichts aus dem Plan, unter anderem, weil wir nicht die Reisfelder im Tal kaufen konnten. Meine Idee war einfach. Wir kaufen die Reisfelder im Tal und bauen zwei Dämme. So züchten wir dann Fische und verkaufen die Ernte nach Antananarivo. Das hätte die Schule versorgt. Das Budget und der Plan wurden nicht so verwirklicht, die Idee aber blieb in mir bestehen und so haben wir ohne grosse Worte an den unfruchtbaren Hängen angefangen, ein produktives System zu erschaffen.

Kanada hat in der Zwischenzeit beschlossen, dass die Schule bis 2024 unabhängig von fremder Hilfe werden soll. Ich gehe nun zum Schulkomitee um dies zu besprechen. Ich frage die angestellten Lehrer nach ihren eigenen Inputs. Das Schulgeld wäre eine Option, es trägt etwa 2% (!) zur Kostendeckung bei, eine weitere Option ist die Produktion von Eiern, welche bereits im Gange ist. Alles in allem können sie etwa 5% der Kosten mit dem Schulgeld und ihren Aktivitäten decken. Sie haben im Prinzip keine Vorstellung, wie sie die Schule ohne die Kanadier führen sollen. Und ich spüre auch keinen allzu grossen Druck bei ihnen — 2024 scheint weit weg zu sein.

Nun gut, ich erkläre ihnen, dass die Permakulturanlage das Potential hätte, die Schule ökonomisch zu tragen. Viel wichtiger noch, sie kann die Gegend revitalisieren und mit dem steigenden Einkommen der beteiligten Menschen könnten dann auch höhere Schulgelder bezahlt werden. Die Schule kann als Berufsschule dienen, in welcher die jungen Bauern ausgebildet werden. Vorraussetzung dafür aber ist, dass die Verantwortlichen lernen, sich selbst zu organisieren und die Verantwortung wirklich zu tragen. Eine rege Diskussion bricht aus, ich hoffe damit etwas in Gang zu setzen was zur Eigenständigkeit führen soll. 80 Angestellte hat die Schule, eine enorme Infrastruktur, eine Kapazität bis zu 800 Schülern und ein Jahresbudget von rund 80.000€.

Nun konnte ich dem Stiftungsrat in Kanada berichten, dass wir bis in zwei Jahren 30% des Budgets stemmen können, sofern die Gärtner gut arbeiten und die Verwaltung der Ernte gut funktioniert. Etwa 100 Tonnen Feldfrüchte, Gemüse und Getreide im Jahr, dazu Bananen, Ananas und weitere Früchte zum Verkauf. Das würde ca. 30.000 Euro im Jahr bringen, eben ein Drittel der Ausgaben. Ab dem Jahr 2022 muss die Schule kein Brennholz mehr kaufen, auch immerhin rund 2000€ im Jahr. Und wenn die Struktur einmal funktioniert, ist es kein grosser Aufwand die Permakulturanlage zu vergrössern und auch wertvollere Produkte zu produzieren.

Permapartner-Bauern in der Gegend:

In der Umgebung der Schule arbeiten seit einem Jahr sechs Familien an ihren eigenen Permakultur-Bauernhöfen. Sie bauen Terrassen und Swales.

Eine Terrassenanlage. Nach Jahrelanger entwicklungsarbeit gewinnen wir die Herzen der Menschen, sie begeistern sich für die neuen Techniken.

Sie lernen die Grundzüge des Systems und ich sehe erste Einsichten ihrerseits, als wir die Anlagen besuchen gehen. Ich gebe Tipps und wir stecken erste Samen in die Erde. Ich erkläre ihnen die Funktion vom Stroh-Mulch und auch hier werden wir gleich praktisch.

Dann lade ich alle ein, eine Begehung der Schule zu machen, wo sie Terrassen im fertigen Zustand betrachten können. In der letzten Nacht hat es geregnet, sodass sie auch gut gefüllte Swales erleben können. Sie beginnen zu verstehen, worum es geht. Jeder mit einem grossen Sack Saatgut bestückt kehrt heim um mit neuer Motivation weiter zu machen. Wir sehen uns wieder, im nächsten Einsatz werde ich mich wieder mehr um die Bauern kümmern, sobald wir unsere bestehenden Anlagen in eine gute Produktion gebracht haben.

Asa fa tsy kabary – Werden wir praktisch!

Neben all den Meetings sind wir natürlich vor allem auf dem Feld gestanden. Die Terrassen und die Hänge haben ihr Finish bekommen. Dann haben wir hundert-tausende Samen in die Erde gesteckt und mehr als zehntausend Maniok-Stecklinge gepflanzt.

Maniok Stecklinge

Alles was nun in den Boden kommt dient dazu, die Erde aufzubauen. Manches wirft Ernte ab, den Maniok aber belassen wir im Boden. Wir nehmen nächstes Jahr die Stämme und pflanzen sie neu, die Wurzeln aber sind für die Regenwürmer. „Sakafo Kankana – Regenwurmfutter“. Ein Konzept, das nur sehr langsam bei den Menschen ankommt, da sie es gewohnt sind, die Landschaft bis zum letzten grünen Blatt kahl zu fressen. Immer und immer wieder wiederhole ich, dass wir teilen müssen, dass alle Lebewesen ihren Platz haben und wir sie alle brauchen. Eine Lektion, welche für alle Menschen der Erde gilt.

Dann kaufen wir Bäume. Insgesamt fast 5000 Jungbäume, 3500 Forstbäume und knapp 1500 Fruchtbäume, welche nun gepflanzt werden. Wir richten an einem Abhang kleine Swales ein, wo wir rund 1200 Forstbäume pflanzen, den Rest verteilen wir an allen Ecken, Nischen und freien Stellen des Geländes. Sie werden Schatten spenden, Laub abwerfen und dann als Feuerholz geschlagen werden – die Küche benötigt rund zwei volle Ochsenkarren pro Woche.

Die Fruchtbäume kommen in die Schrägen der Terrassen. So werden sie die Hänge befestigen und die Terrassen beschatten. Ein Agro-Forst System entsteht.

Die 400 schönsten Fruchtbäume setzen wir gemeinsam mit den Schulkindern in den Schulhof. Sie werden die „Topon’andreikitra“ sein, gemeinsam mit den Lehrern. Es ist der helle Wahnsinn.

Hunderte Kinder zu organisieren ist nicht leicht, ich stehe wie mitten in einem riesigen Ameisenhaufen. Es hat aber auch Vorteile; wir benötigen Äste und Stroh für die Pflanzungen und auch wenn jedes der vielen rumwuselnden Kinder nur ein wenig aufs mal bringt, hundert dieser kleinen Balge haben im Nu einen riesen Haufen zusammen getragen.

Wir graben Löcher von 80/80/80 cm, welche wir mit Stroh, Erde und Mist füllen. Dann pflanzen wir mit viel Wasser und richten am Schluss einen Giesring ein. Die Bäume werden mit Mulch geschützt und mit Ästen beschattet. Wenn sie gross sind spenden sie Schatten und Früchte. TENAQUIP wird dann eine grüne Oase sein, von welcher neues Leben ausgeht.

Wasser-Systeme

In der dritten Arbeitswoche, wir haben schon viele Terrassen fertig, kommt abends ein heftiges Gewitter. Es ist Wochenende. Unmengen an Wasser spülen in unser System, unsere neuen Wasser-Zuflüsse funktionieren prima. Doch nun ist es zuviel. In Badehose und mit einem Spaten bewaffnet rennen Lahatra, Roman und ich durch das System. An manchen Stellen schaffen wir es, das Schlimmste zu verhindern. Ein grosser Damm bricht, die Wassermassen sind unaufhaltsam. Die Fluten gehen in den nächsten Swale, auch dieser bricht und das Wasser reisst die Terrassen unterhalb mit weg. Mit Steinen, Erde und Grass versuchen wir die Zuflüsse zu stopfen. Trotzdem bleibt am nächsten Morgen ein Bild der Verwüstung.

Terrassen zerstört durch Wasser. Wasser gibt Leben – Wasser kann zerstören.

Es ist einer der Momente, an denen ich mich ganz unten fühle. Ich mache mir Vorwürfe „Warum habe ich nicht besser geschaut? Warum habe ich den Wasserwegen nicht noch mehr Priorität gegeben?“ Ich wusste es doch, konnte es aber nicht recht vermitteln. Dies ist schon länger ein Thema- es ist schwer, das Wassersystem theoretisch zu erklären. Es muss erlebt werden. Und so machen wir an diesem Sonntag Unterricht in Badehose, bei jedem folgendem Regenschauer der nächsten Tage rennen wir raus und studieren die Wasserflüsse.

Wenn grosse Wassermengen kommen, ist es zuviel, aber wenn wenig kommt, muss dringlich alles ins System. Wie reguliert man dies passiv; ohne komplizierte, anfällige Technik, nur mit Steinen, Gras und Erde?

Nach der Katastrophe berufe ich eine Besprechung ein. Alle Studenten, die Facharbeiter aus dem Süden und Lahatra aus dem Gärtnerteam kommen zusammen. Die Situation ist emotional, alle verstehen den Ernst der Lage. Unsere ganze Arbeit droht umsonst zu sein. Ich hänge den Plan des Geländes, den ich mit der Drohne vorbereiten konnnte, an die Tafel und halte mich erstmal zurück. Die Diskussion geht los. Alles Wasser drainagieren, das geht nicht. Das ist das alte Wasser-Paradigma (auch in ganz Europa), welches nur trockene Erde hinterlässt. Alles Wasser einfliessen lassen, das geht auch nicht. Wie aber gehen wir damit um?

Teambesprechung – meistens geht es eher gemütlich zu.

Nach Zusammentragung aller Ideen beschliessen wir, Haupt-Wasser-Wege zu bauen und in diese Abzweiger einzubauen, welche bei kleinen Wassermengen alles durchlassen, dann aber schnell voll sind und die Restmenge dem grossen Fluss zufliessen lassen. Ich bin inspiriert vom Iran, in welchem ich traditionelle Wasser-Systeme studieren konnte. Diese inspirationen gebe ich in die Gruppe weiter. So entsteht die Idee, sehr flache Zulaufkanäle über die Strasse zu bauen, die schnell an den Rand ihrer Kapazität kommen. Die Eingänge zu den Swales werden relativ schmal gestaltet und mit Steinen ud Grass-Soden begrenzt. Kleine Mengen kommen durch, grosse Mengen nicht. Eine relativ komplizierte Steuerungsaufgabe mit einfachsten Mitteln gelöst – und dazu noch mit einer passiven Technologie. Wenn es regnet kann nun der Gärtner im Haus sitzen, die Badehose braucht es nur noch, wenn das System geprüft werden soll.

Wir analysieren das ganze System und befestigen alle Wasserwege

Wir machen einen Plan, teilen uns auf und beschliessen, die letzte Woche vor allem das Wasser-System so zu gestalten, dass nichts mehr passiert. Für die nächste Woche werden wir 50 Leute zusätzlich für diese Aufgabe einstellen. Wir wollen nichts mehr riskieren. Die Jungs sind voll dabei, sie haben die Sache nun voll verstanden ohne dass ich viel erklären müsste. Diese Lektion sitzt, und so hat die Katastrophe zu einer guten Wendung geführt. Schon nach zwei Tagen sind die Schäden behoben und wir können mit geeinter Kraft alle angefangenen Arbeiten zuende bringen. Wir können nun über 500m3 Wasser pro Regen auffangen, das macht über 10 Millionen Liter Wasser im Jahr – das entspricht einem kleinen See.

Dieser Teich hat eine Volumen von weit über 100 000 Liter Wasser.
Die Swales füllen prächtig und werden Heimat von Bananenstauden

Nun können wir alle restlichen Bäume pflanzen und zusätzlich 500 Bananen und 700 Ananas in die Erde stecken. Wir können den Schul-Gärtnern mit gutem Gewissen die Anlage übergeben.

Liebe Grüsse aus Madagaskar!!!!