Was braucht es, um unsere Welt zu ändern?

Nach sieben Jahren Erfahrung in Madagaskar zeigt sich mir mehr und mehr die Komplexität der Aufgabe. Technisch gesehen ist die Aufgabe leicht zu lösen. Das kam auch schon in früheren Berichten zur Sprache.

Was können wir tun, um die letzten Urwälder der Welt zu retten?

Nicht so einfach ist es mit der Mentalität der Menschen. „Climate forms Character – Klima formt Charakter“ sagt eine Erkenntnis aus der Anthropologie. Und irgendwie sind die Menschen in der Tropenzone besonders glücklichen Charakters, aber auch sehr leichtgläubig und nicht sehr ernsthaft. Hier in Madagaskar scheint es besonders stark ausgeprägt, vergleicht man es mit anderen tropischen Ländern.

Viele Technologien werden kreativ in die Kultur integriert. Wie schafft es eine Technologie in den Alltag der Menschen?

Ich treffe einen jungen Mann aus Freiburg um Breisgau. Er ist Madegasse und lebt seit einigen Jahren in Deutschland. Er kommt jedes Jahr zurück in seine Heimat und hat ein Haus gekauft. Zuerst liess er seine Verwandten in dem Haus leben. Sie haben es aber runterkommen lassen. Nun hat er sie gebeten zu gehen, dass er das Haus renovieren kann. Sie haben alles mitgenommen, sogar die Lichtschalter haben sie ausgebaut. Er kann niemandem vertrauen, sagt er, mit Ausnahme seiner Mutter. Er hat 12 Geschwister, so ist es eine krasse Bilanz. Er meint, er macht lieber ein Guesthouse für Ausländer als das Haus an Madegassen zu vermieten. Nun, beim Renovieren bekommt er nur sehr schwer zu zuverlässigen Arbeitern. Die gängigen Arbeiter sind faul und weigern sich, effizient zu arbeiten und mitzudenken. Und das, obwohl er selbst Hand anlegt und ja ihre (seine) Sprache spricht…

Es macht mich traurig das zu hören, erklärt mir aber nochmals vieles, warum ich es so schwer habe mit meiner Arbeit. Es geht nicht nur mir so. Es ist sehr stark eine Charakterfrage und eine Frage des Geistes, denn dies formt dann die Realität. Da hilft kein Geld, keine Wasserpumpen und keine noch so gut gemeinten Entwicklungsprojekte.

Neben dem Vertrauen ist es das rationale, abstrakte Denken, welches den Menschen abgeht. Langfristiges Denken ist dadurch genauso unmöglich wie strategisches Denken. Wie soll ich jemand schmackhaft machen, dass eine bestimmte Strategie aus der Armut hinaus führt, wenn es gar nicht geistig erfasst werden kann? Schwieriger wird es noch, wenn selbst die Technik nur schwer theoretisch erklärbar ist, und man alles vormachen muss. Wie geht das, bei Prozessen, die Jahre dauern?

Terrassen, Swales, Bepflanzung, Mulch, Wasserleitsysteme — insgesamt ein recht komplexes System, welches sich über die Zeit entwickelt.

Gerald Hüther, ein deutscher Gehirnforscher, erklärt in seinem Buch „Anleitung für ein menschliches Gehirn“, dass sich unser Hirn mit der Benutzung desselben entwickelt. So wie wir es nutzen, so formt es sich. Es ist also ein Kulturprozess, und nicht wie vor hundert Jahren angenommen, durch die ethnische Angehörigkeit bestimmt. Das Hirn, die Intelligenz und der Charakter formen sich im Laufe des Lebens. Wie mein neuer Freund aus Breisgau können auch seine Landsleute lernen, praktisch, langfristig und strategisch zu denken, um ihre Probleme und Herausforderungen zu lösen. Wenn sie wöllten…

Jetzt will ich aus den Madegassen ja keine Europäer machen, denn auch wir sind alles andere als gute Vorbilder (Atomkraftwerke, kurzsichtige Ökonomie, Gier…), mehr aber möchte ich lernen, die Techniken und Strategien an ihre Kultur, ja aus ihrem eigenen Denken heraus zu entwickeln. Sie mitzunehmen bei dieser Entwicklung, dass sie die Prozesse nachvollziehen können. Vielleicht lernen sie ja strategisches und abstraktes Denken, wie sie gelernt haben, Handies zu benutzen.

Technologie-Transfer

James Cameron, ein Engländer im 16.Jahrhundert, hat erfolgreich zwei Technologien nach Madagaskar gebracht. Das Speichenrad und den Balkon. Bis heute lieben die Madegassen ihre Balkone und so hat jeder, der was auf sich hält, ein Balkon am Haus. Das ist kulturell sehr wichtig und sehr kommunikativ.

Logistisch und damit ökonomisch wichtig sind die Ochsenkarren, und diese fahren bis heute mit den Cameron – Speichenrädern. Diese sind viel effizienter, leichter und grösser als Räder aus massivem Holz, dass macht enorm viel aus auf den Feldwegen. Die Madegassen können die Speichenräder selbst herstellen, auch wenn James Cameron schon lange tot ist. Was macht diesen historischen Technologie-Transfer so erfolgreich, während Pumpen kaputt gehen, Strassen durchlöchert sind, der „demokratische Staat“ (europäische Technologie) absolut versagt und Brücken einstürzen, obwohl die Instandhaltung ungleich günstiger wäre als die Schäden?

Wenn wir dies herausfinden, dann können wir erfolgreich „Entwicklungs-Hilfe“ machen, obwohl ich es persönlich als „Technologie-Transfer“ bezeichnen würde, was auch auf menschlicher Ebene deutlich neutraler wäre. Solche Transfers gab es zum Beispiel in Folge der Kreuzzüge von den entwickelten Muslimen zu den ignoranten europäischen Christen, was bei uns zur Renaissance und zur „Moderne“ geführt hat.

Um einen erfolgreichen Technologie-Transfer zu erreichen, muss zuerst einmal muss das Interesse geweckt werden. Ein echtes Alltagsbedürfniss muss abgedeckt werden, zum Beispiel Transport, oder in unserem Fall, das Essen. Dann muss die Technologie verstanden werden. Und zuletzt muss es einen sichtbaren ökonomischen Vorteil verschaffen. Ein Lastwagen ersetzt 20.000 Träger oder rund 500 Ochsenkarren (auf Asphalt-Strassen). So sieht man auf den langen Strecken nur mehr Lastwagen, auf dem Land aber Ochsenkarren…

Wenn die Pumpe im Dorf kaputt geht, dann holt man halt das Wasser wieder mit dem Eimer. Das macht keinen grossen Unterschied. Dagegen trägt man nur ungern tausende Säcke Reis und andere Güter über hunderte Kilometer.

Wie ist das mit unserer neuen Technologie?

Unsere Pflanz-Techniken reduzieren den Aufwand und den Flächenbedarf auf 20%, während die Ernte sich mehr als vervierfacht. Die Menschen glauben es erst, wenn sie es sehen, und so brauchen wir einen langen Atem, bis die neue Technologie in den Köpfen und den Herzen der Menschen ankommt. Wenn es aber sichtbar wird, und auch noch Spass macht und „cool“ ist wie ein Handy, dann besteht die Chance, dass die Technologie Teil der madegassischen Kultur wird. Wenn wir dies schaffen, dann ist es eine Inspiration für Jahrhunderte, so wie die Optik der Araber zu Keppler führte.

Gerade habe ich mit Hugue telefoniert, einem unserer Partnerbauern und Technikern bei den Einsätzen. Stolz hat er erzählt, dass er seine Farm zu grossen Teilen fertig gestellt hat. Ich hatte ihm Geld mitgegeben, dass er sich Unterstützung, Pflanz- und Saatgut dazu holen kann. Selbes gilt für Leda. Es ist keine einfache Aufgabe, aber wir bleiben am Ball und hoffen, in Madagaskar eine „Agrar-Revolution“ anzuschieben, die in die Zukunft weist. Lange nach Traktoren, Giften und Chemie-Dünger kommt das intelligente Design der lebendigen Prozesse. Anstatt antiquierten. lauten Maschinen, welche ausserhalb von jedem natürlichen Kontext operieren (Agro-Industrie), arbeiten intelligente Ökosysteme. Blattwurf, Wind, Regenwürmer, Regen, Grundwasser, Polykultur, Biodiversität. Lebendige Maschinen ersetzen die starren Systeme der Vergangenheit. So wird Madagaskar vom Mittelalter direkt ins 21. Jahrhundert gehen.

Soziale Technologie: Soziale Systeme

Auf menschlicher Ebene war und ist der Einfluss der Europäer eine Katastrophe. Wir Europäer sind mit unseren menschlichen Qualitäten nicht gerade die am besten entwickelten Menschen. Das gilt vor allem für die Europäer, welche vor den 1970ern gelebt haben. Mord, Raub, Gier, Ausbeutung – Kolonialismus, um dem Kind einen Namen zu geben. Es waren nicht unsere „menschlichen Werte“, welche uns über alle anderen Kulturen erhoben haben, sondern unsere Fähigkeit zu töten. Überall auf dem Planeten haben wir diese Fähigkeit unter Beweis gestellt und tun dies bis heute. Wir nutzen bis heute unsere Tötungsmaschinerie um Erdöl, Uran, billige Arbeiter und dergleichen für unsere Ökonomie „verfügbar“ zu machen.

Dass in Madagaskar das Vertrauen zwischen den Menschen zerbrochen ist und die Menschen klauen, wo es nur geht, das hat sehr viel mit den Europäern zu tun. Klassisch gab es in Madagaskar den Fihavanana, eine blühende Kultur des Miteinanders. Natürlich gab es auch da Kriminalität, aber in vertretbarem Masse. Noch bis in die 80er Jahre hinein wurde Madagaskar von den Besuchern als friedlichster Ort der Welt gesehen, der Fihavanana war in den meisten Landesteilen noch stark. Heute ist er weitestgehend geschwächt durch Popkultur, „Demokratie“ (=Korruption und Willkür der Reichen), Geld und dergleichen mehr.

Was dazu kommt, und nicht direkt mit uns Europäern zu tun hat, ist das Klassenverständnis der Madegassen. Sie leben in vielen Aspekten noch im Mittelalter. Wer es zu etwas gebracht hat, der muss nicht mehr arbeiten (Die Logik des Feudalismus). Das hat üble Folgen – belohnt man zum Beispiel besonders fleissige Mitarbeiter mit besserem Lohn und weiterführenden Kompetenzen, dann legen sie im Normalfall die Schaufel hin; selbst wenn es keinen Sinn macht. Status in der Gesellschaft ist extrem wichtig, und fast jeder strebt danach, sich von den Armen, arbeitenden Menschen abzuheben. Diese Mentalität ist in Europa und Nordamerika zum Glück fast ausgestorben. Die kulturellen Revolutionen der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, der Menschenrechte, der Aufklärung und nicht zuletzt der kulturellen Jugendrevolution der 68er Bewegung haben unsere Kultur nachhaltig geändert. Als Europäer/in ist man Stolz auf seine Arbeit. Handwerker sind angesehen, auch traditionell. Hier in Madagaskar ist das ganz anders. Und dies ist ein Hemmnis dafür, dass so etwas wie ein allgemeiner Wohlstand entsteht. Da können wir Europäer noch so viele Millionen investieren, Geld wird diese Herausforderungen nicht lösen. Eher im Gegenteil. Die Mittel fliessen oftmals direkt oder indirekt zu den Oberen, was den herrschenden Feudalismus stärkt und die Lage zementiert.

Das Pousse Pousse – ein kleines Symbol für die Ungleichheit in der Gesellschaft.

Resumée:

Um in Madagaskar, in Afrika, aber auch bei uns in der „westlichen Welt“, die Herausforderungen zu lösen, müssen wir ganzheitlich denken. Nicht in Einzeltechniken, Einzellösungen und abgeschotteten Regionen. Alles hängt zusammen und Permakultur als Ingenieurskunst hilft uns Prima, diese Zusammenhänge in eine rationale, wissenschaftliche und gleichzeitig lebendige Planung einzubringen. Technologie, Ökologie und Menschliches muss zusammen kommen. Alle Aspekte sind zu beachten. So ist zum Beispiel die saubere Energie in Europa durch Macht- und Wirtschaftsinteressen verdrängt worden und diese „Mächtigen“ sitzen bis heute in ihrem Sattel. Viele alte Strukturen existieren recht unsichtbar und erschweren den Wandel. Das können wir nicht technologisch lösen, auch nicht mit Subventionen. Probleme müssen an ihrer Ursache gelöst werden, oder eben nicht. Das sollten Entwicklungs-Projekte genauso beachten wie wir Europäer bei unserem Weg in die Zukunft. Gesellschafts-Strukturen und Eigentumsverhältnisse können einen Wandel erfolgreich verhindern, so sinnvoll und wichtig es auch sein mag, das Verhalten zu ändern. So gab es zum Beispiel viele sehr gute Technologien im Verkehrsbereich und im Bereich Energie. Diese sind verschwunden und so glaube ich auch kaum, dass die aktuellen „Fortschritte“ wirklich was ändern werden. Nicht, solange wir nicht einen sozialen Wandel vollzogen haben, einen Wandel im Geist und vor allem einen Wandel unserer „inneren Antriebe“. Solange Macht, Gier, Besitzstreben etc. unsere Antriebskraft sind, wird Konkurrenz, Mangel, Ausbeutung etc. die logische Folge sein. Wir brauchen ein neues „Mensch-Sein“. Ein neues Bild von uns selbst, welches unsere Taten leitet und unser Leben erfüllt.

Was sind unsere Werte – für was sollten wir wirklich Respekt zollen? Status oder Nächstenliebe?

Wenn wir so weiter machen wie bisher, und im Moment tun wir dies mit Vollgas, dann wird eine Zeit kommen, in welcher es egal ist, wer wie viel Macht hat. Wer wie viele Waffen besitzt, Autos und Villen am Zürcher See und in Monaco.

Dann zählen wir die verbleibenden Fische im Ozean, die Bäume und die noch funktionierenden Ökosysteme, welche uns am Leben halten. Wir werden den Erfolg von Landwirtschaft an der Menge des Grundwassers, der Güte des Bodens und der Reinheit und Gesundheit der Nahrung messen — nicht am Gewicht der Ernte.

Wir werden Menschen nach ihrer Grosszügigkeit messen, an ihrem Engagement für die Gemeinschaft – und nicht mehr an ihrem Mass an Egoismus und der Fähigkeit, Unmengen anzuhäufen, egal auf welche Art.

Wir werden unsere eigene Grösse erkennen, dass wir niemandem ausser uns selbst und dem Universum verpflichtet sind – dann werden wir aufhören uns unter- und überzuordnen; weil es keinen Sinn macht.

Bis dahin liegt es an uns, wie wir diesen Weg beschreiten, und wie lange es gehen wird.

Jeder von uns hat es in der Hand, es ist ein kollektiver Prozess und jeder bestimmt seinen eigenen Anteil daran. Das mag entmutigen, weil es keinen „Erlöser“ gibt, der kommt und alles regelt. Und es ist ermutigend, weil wir nicht auf den „Erlöser“ warten müssen, sondern hier und heute uns selbst erlösen können. Jeder für sich und wir alle im kollektiv.

Gemeinsam sind wir stark!

Damit beende ich diesen Einsatz. Ich werde ein Jahr Pause machen, Zeit für mich nehmen. Dann geht es in die nächste Runde. Mit neuer Kraft und neuen Ideen.

Nehme gerne Kontakt auf, info@permapartner.org.

Und vor allem: nehme dein eigenes Leben in die Hand. Denn du bist dein Souverän.

 

 

Schaffen wir es, das vielfältige Leben auf Erden zu erhalten und mit ihm in Frieden zu kommen?