Als Abschluss unseres Einsatzes fahren wir in den Nord-Westen Madagaskars, nach Besaonjo (sprich besonso), wo wir die Techniken aus dem Hochland auf die Boden- und Klimabedingungen anzupassen. Vor zwei Jahren war ich schon einmal dort, damals um die Gegend zu erkunden. Es gab noch jede Menge Palmen in fruchtbarem Alter – nun gibt es quasi keine mehr. Ich hatte dies damals vorhergesagt, doch nicht gedacht, dass es so schnell geht. Es ist sehr interessant für mich zu lernen, wie sehr wenige Menschen mit einer Technologie, die wird auch schon in der Bronzezeit hatten, solch riesen Flächen abholzen können. Es hat einen enormen ökologischen, aber auch klimatischen Einfluss. Eventuell müssen wir dies in die Klimaforschung der letzten 30.000 Jahre einbeziehen. Kommen wir aber zum Praktischen:
Das relativ flache Gelände und die sandigen Böden machen es uns sehr einfach, Wasserretentions-Systeme in die Landschaft zu integrieren. Wir müssen keine grossen Terrassen bauen, sondern es reicht, wenn wir horizontal zum Hang 1,2 Meter breite Beete anlegen, welche erhöht sind. Wir graben zwischen den Beeten Wege aus, der Aushub bildet dann die Beete. Es geht sehr schnell, sodass wir rasch fertige Pflanz-Systeme haben. Wir konnten bereits die ersten 150m2 fertig besäen und mulchen, so dass die Studenten und die dazu geholten Mitarbeiter alle Arbeits-Schritte mitgemacht haben.
In diesen Pflanz-Systemen können 3-6 Ernten im Jahr eingefahren werden. Bohnen, Mais, Reis, Maniok, Kürbis, Erdnüsse, Gemüse und dergleichen können hier mit geringem Aufwand angebaut werden. Einmal angelegt können die Beete immer wieder bepflanzt werden, die Erde muss nicht bearbeitet werden, dass erledigen die Regnwürmer für uns.
Die grossen Wasser-Retentions-Gräben (Swales) waren auch relativ einfach zu bauen, da die Sandböden nur stellenweise hart sind. Die geringe Neigung sorgt dafür, dass grosse Mengen an Wasser aufgenommen werden können. Die Dämme werden sodann mit vieljährigen Pflanzen bepflanzt: Ananas, Bananen, Mangos, Kokospalmen, Orangen, Akazien, Eucalyptus… hunderte Arten sind vorstellbar, tausende wachsen in diesem Klima.
Die Swales werden im Abstand von 15-20 Metern angelegt, dazwischen die Beete. Dadurch werden die Beete beschattet und bekommen den Laubfall. Diese Agroforst-Systeme sind inspiriert durch die Alleen-Systeme welche vor allem in Frankreich und in den USA Anwendung finden (Alley-Cropping).
Da die Swales relativ grosse Gebiete überfluten, entstehen Feuchtgebiete, welche ein ganz eigenes Habitat bilden. Dort gedeiht Saonjo (Taro-Wurzeln), Zuckerrohr, Reis und dergleichen mehr.
Wenn man durch die Gegend zieht, kann man neben Abholzung und Erosion ein anderes interessantes Phänomen beobachten: unzählige junge Bäumchen und Palmen finden sich in der Landschaft. Palisander, Jujube und Satrana-Palmen machen die Mehrheit davon aus. Auch auf unserem Feld sind viele Palisander-Bäumchen und eine junge Palme. Normalerweise werden sie abgehackt für Brennholz, was sehr ineffektiv ist. Es sind ja nur dünne Ästchen. Wir integrieren die Bäume ins System – in dem wir sie einfach stehen lassen und schützen. So wird ein Wäldchen entstehen, in der Nord-West-Ecke des Geländes. Es gab in der Gegend schon viele Anstrengungen wieder Wald aufzuforsten. Die einfachste Art wird sein, die jungen Bäume und Palmen zu schützen, und der Wald kommt ganz von alleine wieder. Die existierenden Arten werden dann nach und nach ergänzt durch Samenflug und Tiere. Am Ende wird dies der wichtigste Teil unseres Engagements sein, denn nur wenn der Wald wiederkommt, kann sich die Region und das Klima erholen.
Die Agro-Forstwirtschaft wird eine bedeutende Rolle spielen, denn in ihr werden alle Lebensnotwendigkeiten gedeihen, im Umkreis der Dörfer. Dann müssen die Menschen nicht mehr die ganze Landschaft (über)-nutzen.
Auf dem halben Hektar Land, welches uns von Oliviers Familie zur Verfügung gestellt wurde, wird eine schöne Modell-Landschaft entstehen, in welcher die meisten Elemente enthalten sind, die es in der Gegend geben wird:
Wald, Feuchtgebiet, Agroforstsysteme.
Die Anlage ist an die Schule angeschlossen und wird dieser gehören. Das haben wir schriftlich vereinbart. Die Ernte wird zu 70% an die Schule gehen und zu 30% an den/die jeweiligen Techniker, welche die Haupt-Verantwortung tragen.
Es hat uns grosse Freude gemacht die Anlage zu bauen, die 30 Mitarbeiter waren sehr motiviert und einige von ihnen werden die Inspiration mit nach Hause nehmen. Wir haben den Mitarbeitern alle Arbeits-Schritte erklärt und am Ende haben wir gemeinsam gepflanzt und gesät.
Es ist das dritte Jahr, dass wir hier nach TENAQUIP kommen. Die Anlage hat sich zu unserem Flaggschiff entwickelt, alle bisherigen Erfahrungen kommen hier zusammen. Es ist die grösste zusammenhängende Anlage, und auch die Anlage mit dem grössten Multiplikatoreffekt für die neue Technologie.
Wir haben uns für diesen Einsatz wieder Grosses vorgenommen. Nachdem wir im Sommer Unmengen an Erde bewegt haben, geht es nun darum, die Anlage voll zu bepflanzen und in die Produktion zu bringen. In der ersten Dezemberwoche habe ich den Einsatz vorbereitet, unter anderem war ich drei Tage an der Schule und habe zusammen mit dem Gärtnerteam die erste Terrasse nivelliert und fertig angelegt. Wir benutzen einen transparenten Schlauch, der mit Wasser gefüllt ist. Eine Schlauchwaage. Damit können wir die Gräben in der Terrasse genau ausrichten, das Ziel ist es, dass sich die Wege in der Terrasse bei Regen soweit füllen, dass die Beete nur noch 5 Zentimeter über dem Wasser sind. Die Beete sind etwa 35 Zentimeter hoch- so füllen sich die Gräben, welche die Wege sind, 30 Zentimeter tief mit Wasser. Dieses Wasser sickert sodann nach unten und seitlich in die Erde ein, anstatt abzufliessen und trockene, erodierte Erde zu hinterlassen.
So sorgt dieses Design für feuchte Erde, Grundwasser und gute Wachtstumsbedingungen. Recht schnell keimen dann auch unsere Bohnen und unser Mais aus dem Stroh-Mulch, welche die Erde vor Austrocknung und Verwaschung schützt.
Nach diesem Modell werden wir in den nächsten Wochen alle Terrassen fertigstellen. Die Studenten (welche aus dem ganzen Land zusammen kommen) lernen so, wie die neuen Pflanztechnologien funktionieren. Sie sind Träger des Wissens und haben die Aufgabe und die Verantwortung, dieses Wissen mit ihrem Volk zu teilen. Ich kann es unmöglich allen erklären.
Topon’Andraikitra
„Verantwortung“ – Andraikitra – und „Verantwortliche/r“ – topon’andraikitra – das sind meine neuen Vokabeln zum lernen. Neben den praktischen Arbeiten haben wir diesmal vor allem viel Zeit für Unterrichtsstunden und für Gruppenbesprechungen im Gärtnerteam. Das System wird nur funktionieren, wenn die Menschen Verantwortung übernehmen. Bisher war es vor allem das Projekt vom „Vahazaha Luca (der weisse Lukas)“, und das stimmt auch zu einem guten Anteil. Nun geht es darum, das Projekt zu übergeben, sodass die Menschen darin ihren Platz einnehmen und ihre Verantwortung übernehmen können. Daran mangelt es noch, insgesamt ist Verantwortungsbewusstsein in diesem Land nicht besonders gross geschrieben. Ich bringe dieses Anliegen zuerst in das Schulkommitee, in welchem sich die verschiedenen Abteilungen der Schule zusammentun.
Sodann fange ich an, das Thema in der Gruppe anzusprechen, die Dinge, welche in den letzten Jahren mangels Verantwortungsbewusstseins nicht funktioniert haben. Der Chefgärtner beschuldigt die Arbeiter und die Arbeiter beschuldigen den Chefgärtner. Alle zusammen beschuldigen die Umstände. Ein simples System, bei dem sich alle aus der Verantwortung stehlen könnnen. Ein Phänomen, welches global zu beobachten ist. Sodann aber beginnen wir zu diskutieren, wie sich dies ändern lassen könnnte. Alle sehen ein, dass es keinen Sinn ergibt. Wir müssten die Verantwortung aufteilen, dass damit alle im Team Verantwortung tragen dürfen und müssen. Jede/r wäre topon’andreikitra.
Damit einhergehend sollen sie aber auch Privilegien bekommen. Sie sollen alle den gleichen Lohn bekommen, was für die meisten eine Lohnerhöhung bedeutet (alle ausser dem Chefgärtner), und sie sollen an der Ernte beteiligt werden. Mit der Zeit soll der Lohn verringert werden, im Gleichschritt mit der Verbesserung der Ernte. Ob die Ernte wirklich gut wird, hängt ja nun vor allem von den Gärtnern ab. Somit sollten wir sie ins Boot holen können. In der Gruppenbesprechung wird das mögliche Konzept mit Interesse aufgenommen, sodann kommuniziere ich die Idee zu den Projektverantwortlichen in Kanada. Von dort kam schon vor meinem Einsatz der Aufruf, vermehrt die Menschen einzubinden.
In den letzten Jahren war ich vor allem mal Boss, der eine riesen Menschenmenge zu koordinieren hatte. Die einzelnen Menschen miteinzubeziehen war schwierig. Unmengen an Arbeit und das Interesse war noch nicht so gegeben, vor allem war es von Anfang an schwer, die Ideen zu vermitteln, die noch nicht physisch sichtbar und somit fassbar waren. Die Entscheidung war also damals, zuerst einmal möglichst gut funktionierende Permakulturanlagen zu erstellen, in der Hoffnung, das Interesse dann wecken zu können. Zu dieser Strategie hat es enorm geholfen, die Ausbildungsprogramme zu machen. Zwar konnten nur einige dabei direkt teilnehmen, diese aber ihr Horizont deutlich erweitern. Wir hatten Zeit, uns besser kennen zu lernen; ich lernte über ihre Bedürfnisse, Nöte und Sorgen und sie entwickelten ein Verständnis für meine Intention. Dadurch bauen wir langsam Grenzen und Mauern ab, um danach wirklich am gleichen Ziel zu arbeiten – die Armut in Madagaskar zu beenden und die „rote Insel“ in ein neues grünes Kleid zu hüllen!
Schon im Jahr 2016 habe ich Kanada einen Plan vorgelegt, wie die Schule mittels Permakultur ökonomisch unabhängig gemacht werden kann. Aus verschiedenen Gründen wurde nichts aus dem Plan, unter anderem, weil wir nicht die Reisfelder im Tal kaufen konnten. Meine Idee war einfach. Wir kaufen die Reisfelder im Tal und bauen zwei Dämme. So züchten wir dann Fische und verkaufen die Ernte nach Antananarivo. Das hätte die Schule versorgt. Das Budget und der Plan wurden nicht so verwirklicht, die Idee aber blieb in mir bestehen und so haben wir ohne grosse Worte an den unfruchtbaren Hängen angefangen, ein produktives System zu erschaffen.
Kanada hat in der Zwischenzeit beschlossen, dass die Schule bis 2024 unabhängig von fremder Hilfe werden soll. Ich gehe nun zum Schulkomitee um dies zu besprechen. Ich frage die angestellten Lehrer nach ihren eigenen Inputs. Das Schulgeld wäre eine Option, es trägt etwa 2% (!) zur Kostendeckung bei, eine weitere Option ist die Produktion von Eiern, welche bereits im Gange ist. Alles in allem können sie etwa 5% der Kosten mit dem Schulgeld und ihren Aktivitäten decken. Sie haben im Prinzip keine Vorstellung, wie sie die Schule ohne die Kanadier führen sollen. Und ich spüre auch keinen allzu grossen Druck bei ihnen — 2024 scheint weit weg zu sein.
Nun gut, ich erkläre ihnen, dass die Permakulturanlage das Potential hätte, die Schule ökonomisch zu tragen. Viel wichtiger noch, sie kann die Gegend revitalisieren und mit dem steigenden Einkommen der beteiligten Menschen könnten dann auch höhere Schulgelder bezahlt werden. Die Schule kann als Berufsschule dienen, in welcher die jungen Bauern ausgebildet werden. Vorraussetzung dafür aber ist, dass die Verantwortlichen lernen, sich selbst zu organisieren und die Verantwortung wirklich zu tragen. Eine rege Diskussion bricht aus, ich hoffe damit etwas in Gang zu setzen was zur Eigenständigkeit führen soll. 80 Angestellte hat die Schule, eine enorme Infrastruktur, eine Kapazität bis zu 800 Schülern und ein Jahresbudget von rund 80.000€.
Nun konnte ich dem Stiftungsrat in Kanada berichten, dass wir bis in zwei Jahren 30% des Budgets stemmen können, sofern die Gärtner gut arbeiten und die Verwaltung der Ernte gut funktioniert. Etwa 100 Tonnen Feldfrüchte, Gemüse und Getreide im Jahr, dazu Bananen, Ananas und weitere Früchte zum Verkauf. Das würde ca. 30.000 Euro im Jahr bringen, eben ein Drittel der Ausgaben. Ab dem Jahr 2022 muss die Schule kein Brennholz mehr kaufen, auch immerhin rund 2000€ im Jahr. Und wenn die Struktur einmal funktioniert, ist es kein grosser Aufwand die Permakulturanlage zu vergrössern und auch wertvollere Produkte zu produzieren.
Permapartner-Bauern in der Gegend:
In der Umgebung der Schule arbeiten seit einem Jahr sechs Familien an ihren eigenen Permakultur-Bauernhöfen. Sie bauen Terrassen und Swales.
Sie lernen die Grundzüge des Systems und ich sehe erste Einsichten ihrerseits, als wir die Anlagen besuchen gehen. Ich gebe Tipps und wir stecken erste Samen in die Erde. Ich erkläre ihnen die Funktion vom Stroh-Mulch und auch hier werden wir gleich praktisch.
Dann lade ich alle ein, eine Begehung der Schule zu machen, wo sie Terrassen im fertigen Zustand betrachten können. In der letzten Nacht hat es geregnet, sodass sie auch gut gefüllte Swales erleben können. Sie beginnen zu verstehen, worum es geht. Jeder mit einem grossen Sack Saatgut bestückt kehrt heim um mit neuer Motivation weiter zu machen. Wir sehen uns wieder, im nächsten Einsatz werde ich mich wieder mehr um die Bauern kümmern, sobald wir unsere bestehenden Anlagen in eine gute Produktion gebracht haben.
Asa fa tsy kabary – Werden wir praktisch!
Neben all den Meetings sind wir natürlich vor allem auf dem Feld gestanden. Die Terrassen und die Hänge haben ihr Finish bekommen. Dann haben wir hundert-tausende Samen in die Erde gesteckt und mehr als zehntausend Maniok-Stecklinge gepflanzt.
Alles was nun in den Boden kommt dient dazu, die Erde aufzubauen. Manches wirft Ernte ab, den Maniok aber belassen wir im Boden. Wir nehmen nächstes Jahr die Stämme und pflanzen sie neu, die Wurzeln aber sind für die Regenwürmer. „Sakafo Kankana – Regenwurmfutter“. Ein Konzept, das nur sehr langsam bei den Menschen ankommt, da sie es gewohnt sind, die Landschaft bis zum letzten grünen Blatt kahl zu fressen. Immer und immer wieder wiederhole ich, dass wir teilen müssen, dass alle Lebewesen ihren Platz haben und wir sie alle brauchen. Eine Lektion, welche für alle Menschen der Erde gilt.
Dann kaufen wir Bäume. Insgesamt fast 5000 Jungbäume, 3500 Forstbäume und knapp 1500 Fruchtbäume, welche nun gepflanzt werden. Wir richten an einem Abhang kleine Swales ein, wo wir rund 1200 Forstbäume pflanzen, den Rest verteilen wir an allen Ecken, Nischen und freien Stellen des Geländes. Sie werden Schatten spenden, Laub abwerfen und dann als Feuerholz geschlagen werden – die Küche benötigt rund zwei volle Ochsenkarren pro Woche.
Die Fruchtbäume kommen in die Schrägen der Terrassen. So werden sie die Hänge befestigen und die Terrassen beschatten. Ein Agro-Forst System entsteht.
Die 400 schönsten Fruchtbäume setzen wir gemeinsam mit den Schulkindern in den Schulhof. Sie werden die „Topon’andreikitra“ sein, gemeinsam mit den Lehrern. Es ist der helle Wahnsinn.
Hunderte Kinder zu organisieren ist nicht leicht, ich stehe wie mitten in einem riesigen Ameisenhaufen. Es hat aber auch Vorteile; wir benötigen Äste und Stroh für die Pflanzungen und auch wenn jedes der vielen rumwuselnden Kinder nur ein wenig aufs mal bringt, hundert dieser kleinen Balge haben im Nu einen riesen Haufen zusammen getragen.
Wir graben Löcher von 80/80/80 cm, welche wir mit Stroh, Erde und Mist füllen. Dann pflanzen wir mit viel Wasser und richten am Schluss einen Giesring ein. Die Bäume werden mit Mulch geschützt und mit Ästen beschattet. Wenn sie gross sind spenden sie Schatten und Früchte. TENAQUIP wird dann eine grüne Oase sein, von welcher neues Leben ausgeht.
Wasser-Systeme
In der dritten Arbeitswoche, wir haben schon viele Terrassen fertig, kommt abends ein heftiges Gewitter. Es ist Wochenende. Unmengen an Wasser spülen in unser System, unsere neuen Wasser-Zuflüsse funktionieren prima. Doch nun ist es zuviel. In Badehose und mit einem Spaten bewaffnet rennen Lahatra, Roman und ich durch das System. An manchen Stellen schaffen wir es, das Schlimmste zu verhindern. Ein grosser Damm bricht, die Wassermassen sind unaufhaltsam. Die Fluten gehen in den nächsten Swale, auch dieser bricht und das Wasser reisst die Terrassen unterhalb mit weg. Mit Steinen, Erde und Grass versuchen wir die Zuflüsse zu stopfen. Trotzdem bleibt am nächsten Morgen ein Bild der Verwüstung.
Es ist einer der Momente, an denen ich mich ganz unten fühle. Ich mache mir Vorwürfe „Warum habe ich nicht besser geschaut? Warum habe ich den Wasserwegen nicht noch mehr Priorität gegeben?“ Ich wusste es doch, konnte es aber nicht recht vermitteln. Dies ist schon länger ein Thema- es ist schwer, das Wassersystem theoretisch zu erklären. Es muss erlebt werden. Und so machen wir an diesem Sonntag Unterricht in Badehose, bei jedem folgendem Regenschauer der nächsten Tage rennen wir raus und studieren die Wasserflüsse.
Wenn grosse Wassermengen kommen, ist es zuviel, aber wenn wenig kommt, muss dringlich alles ins System. Wie reguliert man dies passiv; ohne komplizierte, anfällige Technik, nur mit Steinen, Gras und Erde?
Nach der Katastrophe berufe ich eine Besprechung ein. Alle Studenten, die Facharbeiter aus dem Süden und Lahatra aus dem Gärtnerteam kommen zusammen. Die Situation ist emotional, alle verstehen den Ernst der Lage. Unsere ganze Arbeit droht umsonst zu sein. Ich hänge den Plan des Geländes, den ich mit der Drohne vorbereiten konnnte, an die Tafel und halte mich erstmal zurück. Die Diskussion geht los. Alles Wasser drainagieren, das geht nicht. Das ist das alte Wasser-Paradigma (auch in ganz Europa), welches nur trockene Erde hinterlässt. Alles Wasser einfliessen lassen, das geht auch nicht. Wie aber gehen wir damit um?
Nach Zusammentragung aller Ideen beschliessen wir, Haupt-Wasser-Wege zu bauen und in diese Abzweiger einzubauen, welche bei kleinen Wassermengen alles durchlassen, dann aber schnell voll sind und die Restmenge dem grossen Fluss zufliessen lassen. Ich bin inspiriert vom Iran, in welchem ich traditionelle Wasser-Systeme studieren konnte. Diese inspirationen gebe ich in die Gruppe weiter. So entsteht die Idee, sehr flache Zulaufkanäle über die Strasse zu bauen, die schnell an den Rand ihrer Kapazität kommen. Die Eingänge zu den Swales werden relativ schmal gestaltet und mit Steinen ud Grass-Soden begrenzt. Kleine Mengen kommen durch, grosse Mengen nicht. Eine relativ komplizierte Steuerungsaufgabe mit einfachsten Mitteln gelöst – und dazu noch mit einer passiven Technologie. Wenn es regnet kann nun der Gärtner im Haus sitzen, die Badehose braucht es nur noch, wenn das System geprüft werden soll.
Wir machen einen Plan, teilen uns auf und beschliessen, die letzte Woche vor allem das Wasser-System so zu gestalten, dass nichts mehr passiert. Für die nächste Woche werden wir 50 Leute zusätzlich für diese Aufgabe einstellen. Wir wollen nichts mehr riskieren. Die Jungs sind voll dabei, sie haben die Sache nun voll verstanden ohne dass ich viel erklären müsste. Diese Lektion sitzt, und so hat die Katastrophe zu einer guten Wendung geführt. Schon nach zwei Tagen sind die Schäden behoben und wir können mit geeinter Kraft alle angefangenen Arbeiten zuende bringen. Wir können nun über 500m3 Wasser pro Regen auffangen, das macht über 10 Millionen Liter Wasser im Jahr – das entspricht einem kleinen See.
Nun können wir alle restlichen Bäume pflanzen und zusätzlich 500 Bananen und 700 Ananas in die Erde stecken. Wir können den Schul-Gärtnern mit gutem Gewissen die Anlage übergeben.
Liebe Grüsse aus Madagaskar!!!!
Seit einem Monat bin ich nun in Madagaskar. Es ist wie immer eine Herausforderung mit schönen Momenten und Schwierigkeiten, die es zu meistern gibt. In der Schule TENAQUIP bei Antananarivo läuft alles in Allem sehr gut, vor allem die Entwicklung des Teams und unser Ausbildungsprogramm geht super vorran. Auch lerne ich Filme zu schneiden und hoffe, euch damit in den nächsten Wochen ein paar Videos zeigen zu können. Zuerst aber die Geschichte von Andasibe.
Nach Menalamba sind wir zu Fuss gegangen, das gleiche Bild wie immer. Brandrodungen, Abholzung – Die Zerstörung der Wälder und des grossen Feuchtgebietes gehen weiter. Rivo war mich besuchen als er hörte ich wäre in der Region. Das bewegt mich dazu, noch einmal nach Menalamba zu gehen. Der Schulgarten, welchen wir vor 4 Jahren gebaut haben, ist mittlerweile verwarlost. Die Krankenstation, in welcher unsere Aktivitäten stattgefunden haben, ist zerfallen; unsere „Permakulturstation“ ist gescheitert. Als kleiner Erfolg hat sich die ehemalige Baumschule sich verselbständigt, die Bäume sind schon über sieben Meter hoch. Ein einzelner Rosenholzbaum wächst im Schatten, er hat etwa 70 cm. erreicht, ein seehr langsam wachsender Baum.
Im Schulgarten wachsen noch die Fruchtbäume und die Ananas. Wieder einmal beweist sich, dass wir Menschen uns auf vieljährige Pflanzen konzentrieren sollten. Mit viel weniger Aufwand geben sie Jahr für Jahr Ernte. Ausserdem erhalten sie die ökologischen Kreisläufe und Funktionen aufrecht. Selbst wenn wir nichts tun wachsen sie weiter. Pfirsiche, Maulbeeren, Jackfruit, Bananen, Mangos, Avocados, Granatäpfel und Pflaumen wachsen im Schulhof, auch wenn unser Gemüsegärtner schon lange nicht mehr arbeitet.
Weiter geht’s zu den zwei Familien, welche noch arbeiten. Rivo ist im Juli zu ihnen hin und hat Samen verteilt, geholfen hat er ihnen nicht wirklich. Bei sich selbst hat er einen Garten angelegt, mit Swales und Terrassen. Nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht. Irgendwie scheint die Idee noch in ihm zu leben. Seit unserem letzten Treffen hat Rivo wohl wieder etwas zu sich gefunden. Das Solarsystem und alles andere Wertvolle was er noch hatte, wurden ihm geklaut. Das Geld war alle, damit sind auch alle seine „Freunde“ verschwunden. Er hat eine neue Freundin, sein Haus ist sauber und aufgeräumt. „Die muss dich echt lieben“ sage ich: „so arm wie du mittlerweile bist!“
Geld hat er kaum, manchmal kann er als Tagelöhner arbeiten, sonst mogelt er sich irgendwie durch. Getrunken hat er wohl nicht mehr, meine Worte hat er Ernst genommen. Es war ein hartes Erwachen für ihn, nach dem Rausch des Geldes welches er uns geklaut hat. Seine hübschen Kleider sind den normalen, zusammengeflickten Klamotten gewichen. Dafür wirkt er weniger aufgesetzt, mehr zurückhaltend und bedachter.
„Das Leben ist wie eine Treppe. Jeder von uns ist auf einer gewissen Stufe geboren und kann von dort aus seinen Weg beschreiten. Man kann nach oben gehen oder runterfallen. Du hast viel Geld gehabt, warst schnell oben. Aber dann bist du tiefer gefallen, als du zuvor warst. Du hast alle Freunde im Dorf verloren, denn keiner hat dein Haus geschützt, als die Diebe kamen.“
Bei den zwei Familien ist es nett. Ich verteile Saatgut und schaue mir die Anlagen an. Zur Zeit herrscht wieder eine Dürre, es wächst kaum. Wie im Frühjahr 2017 bleibt der Regen aus. Ein klares Signal, das die hydrologischen Systeme stark gestört sind. Dafür kann ich umso besser erklären, wie das mit dem Mulchen funktioniert. Am Rand des Feldes liegt Bohnenstroh, welches bei der letzten Ernte zur Seite geräumt wurde. Ich nehme es auf und zeige, dass darunter noch Feuchtigkeit herrscht und die Erde beginnt, humos zu werden. Die Oma versteht als erste, was ich meine. Ich hoffe damit eine weitere kleine Idee gesät zu haben.
Mit dem Mulch braucht es keine Brachezeiten; erkläre ich, und so können sie eine Ernte nach der anderen einfahren. Der Boden wird mit jeder Ernte besser, mit der verkleinerten Fläche aber verringert sich die Arbeit, während man mehr Aufmerksamkeit pro Flächeneinheit hat. Der Boden braucht keine Bearbeitung wie früher – der Regenwurm und seine Freunde übernehmen das nun. Ich gebe ihnen nur diesen kleinen Input, für den Moment soll es reichen. Wenn sie die Flamme des Eigenengagements entfacht haben, will ich sie nicht gleich wieder auspusten.
Eine grosse Freude sind einige Akazien, welche auf einer BaumSaat Versuchsfläche wachsen. Sie haben es durch die Sukkzessions-Vegetation geschafft. Ein Nachweis, wie wir mit sehr kleinem Aufwand Nutzwälder erstellen können bzw. mit Nutzwald als Zwischenstufe die Naturwälder regenerieren können.
Siehe: BaumSaat – einfach Wald machen
Am schönsten für mich aber ist der Fischteich. Mitten in der Dürre ist er fast voll mit Wasser, die Familie kann ihr Gemüse wässern und kleine Fische schwimmen am Rand. In etwa einem Jahr werden die ersten gross genug sein um sie zu fangen. Es ist ein wunderschönes Beispiel für eine multifunktionale Wasser-Retention. Wie einst der König von Sri Lanka sein Land für viele Jahrtausende verändert hat, können wir so Madagaskar und den ganzen Planeten heilen und zu einem wunderschönen Ort machen.
Auf www.rainforclimate.org finden sich viele Informationen zu dem Thema, sie starten grade eine globale Kampagne um das Klima wieder in wünschenswerte Bahnen zu lenken. Es liegt an uns, die Ökosysteme auf Planet Erde zu reparieren.
Ein sehr lesenwertes Buch dazu gratis unter:
https://www.rainforclimate.com/article/water-for-recovery-of-the-climate—a-new-water-paradigm
Ich fliege mit der Drohne über die Anlagen und dann in Richtung Regenwald. Nachdem die Menschheit über 8 Milliarden Hektar Urwald abgeholzt hat, und nur noch 2 Milliarden Hektar übrig bleiben, mache ich den Film mit gemischten Gefühlen.
Sobald ich genügend Internet habe, teile ich den Film mit euch, bis dahin schonmal meine Gedanken.
Wald produziert seinen eigenen Regen. Den Regen braucht er zum überleben, im Besonderen der tropische Regenwald. Geht zu viel Wald verloren, können die bestehenden Wälder nicht mehr genügend Regen produzieren und gehen infolgedessen ebenfalls zugrunde. Die gerodeten Flächen aber produzieren eine Menge trockene, heisse Luft und bringen das Klima durcheinander. Einfach und logisch, und sehr tragisch. In 2006 gab es im Amazonas-Becken die erste Dürre, hier in Madagaskar 2017 (wir haben berichtet), nun im Januar 2019 die Zweite. Wir erleben nun live den historischen Wendepunkt – „Wann werden die Ökosysteme kollabieren?“; Genau Jetzt!
Wir haben alles so durcheinander gebracht, dass es in Saudi-Arabien und Kuwait regnet und hagelt, Kuwait wurde geradezu überflutet:
Und so fliege ich mit der Drohne über die Ränder des Regenwalds, in welchen sich die Felder immer weiter hinein fressen. Immer kleiner werden sie, bis der Wald eine dichte Decke bildet. Ich fange an von damals zu träumen, bis der Akku der Drohne piepst und ich zurückkehren muss. Zwei Tage später gehen wir in den Nationalpark Mantadia. Die Bäche sind noch voll mit klarem, kühlem Wasser. Der Wald selbst ist viel zu trocken. Zu oft und zu lange darf dies nicht passieren.
Wir, die Menschheit, wir sind am Scheitelpunkt und kurz davor, rasant nach unten zu rauschen.
7 Milliarden Menschen, mit einer korrupten Elite im Steuerraum, welche alles tut, ausser Verantwortung zu übernehmen. Dazu eine Masse an konsumierenden Menschen, die nie gelernt haben, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Und viele Milliarden armer Menschen, die um ihr Leben kämpfen. Nur einige Millionen Menschen sehen was passiert. Manchen gelingt es, im Kleinen anzufangen etwas zu tun. Es ist Zeit, dass wir mehr werden. Dass wir Führung übernehmen und endlich tun was nötig ist. Wir müssen aufstehen.
Unser kleines Projekt hier ist nett. Es ist der Beweis und die technische Anleitung, dass und wie die Regenwälder Madagaskars gerettet werden können. Die Wälder können sich sogar wieder ausbreiten, ganz im Einklang mit den Menschen, welche dadurch sogar noch ein viel besseres Leben erhalten. Es ist ein Beispiel unter vielen, rund um die Welt.
Die Lösung ist das Projekt nicht. Dazu bin ich und ist das Projekt viel zu klein, dazu sind alle Projekte der Welt immer noch zu klein. Auch wenn es mich traurig macht, mich machtlos fühlen lässt, ich fange an es zu akzeptieren. Wir werden einige wenige Bauernfamilien unterstützen, mit unseren Ratschlägen und Arbeits-Einsätzen, immer wenn wir in die Region kommen. Wir können ihnen bereitstellen, was sie benötigen. Für heute war es Saatgut, ein paar anerkennende Worte, meine Präsenz und der Tipp mit dem Mulch. Wir machen einen kleinen Unterschied, ausreichen wird es nicht… — Noch nicht!
Sodann werde ich mich auf das Schulprojekt in Antananarivo konzentrieren, denn dort ist der Multiplikatoreffekt am grössten, und somit die Basis am besten, die Technik und das Wissen zu vertiefen und zu verbreiten. Es geht ja im Prinzip um einen Technologietransfer, und der hat dann Erfolg, wenn die Technologie die Köpfe, die Kultur und die Herzen der Menschen erreicht.
Rivo werde ich mit nach Antananarivo nehmen. In ihm ist die Idee angelegt, das zeigt mir sein Garten, nun gilt es, diese zu verfeinern. So kann er als Botschafter die neue Techologie nach Menalamba tragen. Denn in Antananarivo kann er sehen, wie eine fertige Anlage professionell betrieben wird und diesen Eindruck kann er mit nach Hause nehmen.
Ein kleiner Agent des Wandels, wie auch ich nur ein kleiner Arbeiter des Neuen bin.
Zurück in Andasibe besuchen wir Monique und ihren Bauernhof. Einige Bäume sind eingegangen, nach unserem letzten Einsatz hat es nicht wie erwartet Regen gegeben, sondern es setzte direkt die Dürre ein. Trotzdem haben es viel Café-Pflanzen, Akazien, einige Mangos, viele Orangen und alle Ananas geschafft, anzuwachsen. Auch eine Papaya ist durchgekommen.
Monique hatte gleich nach unserem Einsatz anderes im Sinn: Ihre Mutter wurde schwer krank und ist mittlerweile verstorben. Hery, der Wächter und Bewohner des Hofs, hat sich nicht recht gekümmert. Sie erzählt mir, wie schwer es ist, jemanden zu finden. Paradox, denn in all der Armut bietet sie eine tolle Möglichkeit: Haus, Garten, Wasser und einen kleinen Lohn. Armut ist ein komplexes Problem, und die Mentalität der Armen ein wichtiger Faktor.
Auch hier fliege ich mit meiner Drohne. Alles in allem ist es ein schöner Erfolg, hier entsteht ein Bauernhof, welcher als Beispiel zeigt, wie Mensch und Natur zusammen leben können. Wie wir die traditionelle, madagassische Landwirtschaft mit ganz kleinen Anpassungen nachhaltig machen können. Kleine Inseln im Urwald, die aber ohne Erosion, mit geschlossenen Nährstoff-Stoffkreisläufen und eingebunden in das grosse, ganze System. Monique erzählt mir noch zum Abschied, dass ein paar französische Journalisten auf das Projekt aufmerksam wurden und von nun an regelmässig berichten werden.
Überall auf der Welt kann das die Basis für ein ganz neues Modell der Zivilisation sein. Keine hirarchischen Grossreiche, sondern Netzwerke kleiner Einheiten, welche gemeinsam eine grossartige Menschheit bilden. In dieser Gesellschaft verwaltet jedes Individuum seinen eigenen Anteil am Gesamten, und mittels Crowd-Funding können grössere Dinge entstehen. Millionen kleiner Entscheidungen formen dann die Welt, nicht die Büros weniger Ober-Mufties, welche in all ihrer Macht-Fülle den Verstand verlieren.
Das alte System beginnt zu bröckeln. In 2018 sind die Aktien in extremem Masse gesunken, alle Indizes gingen stark nach unten. An sich noch nichts Spezielles.
Viel auffälliger ist, dass die Zentralbanken beginnen die Leitzinse anzuheben. Damit wird sich die „Geldversorgung“ verringern, und praktisch wird die reale Geldmenge über die nächsten Jahre sinken. Schuldner werden ihre Kredite nicht mehr bedienen können und müssen verkaufen. Das wird sich vor allem auf die Immobilien-Blase auswirken, welche wir in den Industrie-Nationen aufgeblasen haben. Auch an dieser Front haben wir einen Wendepunkt überschritten und es liegt im Bereich des sehr Wahrscheinlichen, dass wir finanziell in eine ganz neue Situation geraten.
Wer nun bei Verstand ist, kann seine Papier-Werte (Lebensversicherungen, Bank-Guthaben (was eigentlich Kredite an die Banken sind…), Verträge, Anleihen etc. in reale Werte verwandeln, die dem Leben einen positiven Impuls geben (bevor sie vom kommenden Finanz-Tsunamie weggespült werden). Wer Schulden hat, sollte sich gut überlegen, ob diese auch in schlechten Zeiten leistbar sind. Sonst sollte Mann/Frau aus entsprechenden Verträgen besonnen aber zügig aussteigen.
So kreisen meine Gedanken gemeinsam mit der Drohne. Wir haben uns global so in die Schwierigkeiten gebracht, dass nur ein fundamentaler Neuanfang uns da rausholt. Und so hoffe ich für 2019, das wir den Wendepunkt, den wir de-fakto herbeigeführt haben, positiv nutzen. Es braucht nun mutige Schritte. Persönlich, finanziell und als Gemeinschaft. Brauchst du deinen Job noch, braucht er dich noch? Kannst du etwas Sinnvolleres zu unserer aller Zukunft beitragen? Wo kommt dein Essen her? Bist du in lokalen Stoffkreisläufen eingebunden oder in einem globalen Netz gefangen?
Es ist Zeit für einen Wandel. Wir können jetzt in Aktion treten oder später auf die Umstände reagieren.
https://kenfm.de/positionen-16/
Frohes neues und einen guten Start ins 2019!
Lukas
Heute Morgen war ein Mann aus Ambalavao zu Besuch auf der Baustelle. Er fragte, ob er auch Permakultur machen könnte, ob wir ihn unterstützen. Ich willige ein, am nächsten Tag zu Besuch zu kommen.
Es dauert keine fünf Minuten, da habe ich einen Spaten in der Hand. An einer Kaffee-Pflanzung zeige ich praktisch, wie mit einem Rohr, oder in diesem Fall mit drei alten Plastikflaschen, der Baum in die Tiefe gewässert werden kann. So verdunstet das Wasser nicht, und die Wurzeln suchen das Wasser in der Tiefe. Mehr erfahren
Eine andere Geschichte ist sehr schön. Auf dem Weg nach Fianarantsoa kamen wir in Ambositra durch. Spontan erreiche ich einen alten Freund, Henry, ein Gründungsmitglied des ISTA. Das Intitute Supérieur de Technolgie d’Ambositra ist eine der grössten Landwirtschaftsschulen des Landes. Schon letztes Jahr haben wir eine Kooperation erörtert. Immerhin haben Sie mehr als 600 Studenten und es wäre doch toll, wenn sie von unserer Arbeit profitieren könnten. Mehr erfahren
Wir haben unseren Einsatz ist erfolgreich abgeschlossen. Der Schulgarten wurde sehr schön und wartet darauf, in der Regenzeit von uns begrünt zu werden. In Andasibe konnten wir einen schönen Abschluss finden. Den Betrugsfall konnten wir klären, dem „Täter“ eine Möglichkeit geben, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Monikas Hof wurde sehr schön; Sie wird nun die Technik und das Wissen mit der Frauenorganisation „Aina Vao“ teilen, so auch die Ernte und die jungen Bäume, welche wir in der Baumschule angesät haben. Mehr erfahren
Unser Team, das sind Dada Be, der Opi, Arsen, der Gehörlose, Berthain, unser Priester, der gerne wichtige Dinge erzählt und so zu seinem Spitznamen kam. Michelle, der grade Papa wurde und sein Kind nächste Woche zum ersten mal sehen wird (er ist heimgefahren, als seine Tochter aber als nicht kommen wollte fuhr er wieder zu uns – zwei Tage vor ihrer Geburt). Mehr erfahren
Es kommen nicht nur Eltern, sondern auch Geschwister, um den Beitrag an der Schule zu leisten. Einen Tag übersehe ich am Morgen die Minderjährigen, uns so kommt es, dass ich ausgerechnet einem Buben eine Verletzung zufüge, als er sich mir unbedacht von hinten nähert. Sofort behandle ich ihn und schicke alle Minderjährigen nach Hause. Mehr erfahren
Zuletzt aktualisiert: 9. Februar 2019 von lukas
Was braucht es, um unsere Welt zu ändern?
Nach sieben Jahren Erfahrung in Madagaskar zeigt sich mir mehr und mehr die Komplexität der Aufgabe. Technisch gesehen ist die Aufgabe leicht zu lösen. Das kam auch schon in früheren Berichten zur Sprache.
Nicht so einfach ist es mit der Mentalität der Menschen. „Climate forms Character – Klima formt Charakter“ sagt eine Erkenntnis aus der Anthropologie. Und irgendwie sind die Menschen in der Tropenzone besonders glücklichen Charakters, aber auch sehr leichtgläubig und nicht sehr ernsthaft. Hier in Madagaskar scheint es besonders stark ausgeprägt, vergleicht man es mit anderen tropischen Ländern.
Ich treffe einen jungen Mann aus Freiburg um Breisgau. Er ist Madegasse und lebt seit einigen Jahren in Deutschland. Er kommt jedes Jahr zurück in seine Heimat und hat ein Haus gekauft. Zuerst liess er seine Verwandten in dem Haus leben. Sie haben es aber runterkommen lassen. Nun hat er sie gebeten zu gehen, dass er das Haus renovieren kann. Sie haben alles mitgenommen, sogar die Lichtschalter haben sie ausgebaut. Er kann niemandem vertrauen, sagt er, mit Ausnahme seiner Mutter. Er hat 12 Geschwister, so ist es eine krasse Bilanz. Er meint, er macht lieber ein Guesthouse für Ausländer als das Haus an Madegassen zu vermieten. Nun, beim Renovieren bekommt er nur sehr schwer zu zuverlässigen Arbeitern. Die gängigen Arbeiter sind faul und weigern sich, effizient zu arbeiten und mitzudenken. Und das, obwohl er selbst Hand anlegt und ja ihre (seine) Sprache spricht…
Es macht mich traurig das zu hören, erklärt mir aber nochmals vieles, warum ich es so schwer habe mit meiner Arbeit. Es geht nicht nur mir so. Es ist sehr stark eine Charakterfrage und eine Frage des Geistes, denn dies formt dann die Realität. Da hilft kein Geld, keine Wasserpumpen und keine noch so gut gemeinten Entwicklungsprojekte.
Neben dem Vertrauen ist es das rationale, abstrakte Denken, welches den Menschen abgeht. Langfristiges Denken ist dadurch genauso unmöglich wie strategisches Denken. Wie soll ich jemand schmackhaft machen, dass eine bestimmte Strategie aus der Armut hinaus führt, wenn es gar nicht geistig erfasst werden kann? Schwieriger wird es noch, wenn selbst die Technik nur schwer theoretisch erklärbar ist, und man alles vormachen muss. Wie geht das, bei Prozessen, die Jahre dauern?
Gerald Hüther, ein deutscher Gehirnforscher, erklärt in seinem Buch „Anleitung für ein menschliches Gehirn“, dass sich unser Hirn mit der Benutzung desselben entwickelt. So wie wir es nutzen, so formt es sich. Es ist also ein Kulturprozess, und nicht wie vor hundert Jahren angenommen, durch die ethnische Angehörigkeit bestimmt. Das Hirn, die Intelligenz und der Charakter formen sich im Laufe des Lebens. Wie mein neuer Freund aus Breisgau können auch seine Landsleute lernen, praktisch, langfristig und strategisch zu denken, um ihre Probleme und Herausforderungen zu lösen. Wenn sie wöllten…
Jetzt will ich aus den Madegassen ja keine Europäer machen, denn auch wir sind alles andere als gute Vorbilder (Atomkraftwerke, kurzsichtige Ökonomie, Gier…), mehr aber möchte ich lernen, die Techniken und Strategien an ihre Kultur, ja aus ihrem eigenen Denken heraus zu entwickeln. Sie mitzunehmen bei dieser Entwicklung, dass sie die Prozesse nachvollziehen können. Vielleicht lernen sie ja strategisches und abstraktes Denken, wie sie gelernt haben, Handies zu benutzen.
Technologie-Transfer
James Cameron, ein Engländer im 16.Jahrhundert, hat erfolgreich zwei Technologien nach Madagaskar gebracht. Das Speichenrad und den Balkon. Bis heute lieben die Madegassen ihre Balkone und so hat jeder, der was auf sich hält, ein Balkon am Haus. Das ist kulturell sehr wichtig und sehr kommunikativ.
Logistisch und damit ökonomisch wichtig sind die Ochsenkarren, und diese fahren bis heute mit den Cameron – Speichenrädern. Diese sind viel effizienter, leichter und grösser als Räder aus massivem Holz, dass macht enorm viel aus auf den Feldwegen. Die Madegassen können die Speichenräder selbst herstellen, auch wenn James Cameron schon lange tot ist. Was macht diesen historischen Technologie-Transfer so erfolgreich, während Pumpen kaputt gehen, Strassen durchlöchert sind, der „demokratische Staat“ (europäische Technologie) absolut versagt und Brücken einstürzen, obwohl die Instandhaltung ungleich günstiger wäre als die Schäden?
Wenn wir dies herausfinden, dann können wir erfolgreich „Entwicklungs-Hilfe“ machen, obwohl ich es persönlich als „Technologie-Transfer“ bezeichnen würde, was auch auf menschlicher Ebene deutlich neutraler wäre. Solche Transfers gab es zum Beispiel in Folge der Kreuzzüge von den entwickelten Muslimen zu den ignoranten europäischen Christen, was bei uns zur Renaissance und zur „Moderne“ geführt hat.
Um einen erfolgreichen Technologie-Transfer zu erreichen, muss zuerst einmal muss das Interesse geweckt werden. Ein echtes Alltagsbedürfniss muss abgedeckt werden, zum Beispiel Transport, oder in unserem Fall, das Essen. Dann muss die Technologie verstanden werden. Und zuletzt muss es einen sichtbaren ökonomischen Vorteil verschaffen. Ein Lastwagen ersetzt 20.000 Träger oder rund 500 Ochsenkarren (auf Asphalt-Strassen). So sieht man auf den langen Strecken nur mehr Lastwagen, auf dem Land aber Ochsenkarren…
Wenn die Pumpe im Dorf kaputt geht, dann holt man halt das Wasser wieder mit dem Eimer. Das macht keinen grossen Unterschied. Dagegen trägt man nur ungern tausende Säcke Reis und andere Güter über hunderte Kilometer.
Wie ist das mit unserer neuen Technologie?
Unsere Pflanz-Techniken reduzieren den Aufwand und den Flächenbedarf auf 20%, während die Ernte sich mehr als vervierfacht. Die Menschen glauben es erst, wenn sie es sehen, und so brauchen wir einen langen Atem, bis die neue Technologie in den Köpfen und den Herzen der Menschen ankommt. Wenn es aber sichtbar wird, und auch noch Spass macht und „cool“ ist wie ein Handy, dann besteht die Chance, dass die Technologie Teil der madegassischen Kultur wird. Wenn wir dies schaffen, dann ist es eine Inspiration für Jahrhunderte, so wie die Optik der Araber zu Keppler führte.
Gerade habe ich mit Hugue telefoniert, einem unserer Partnerbauern und Technikern bei den Einsätzen. Stolz hat er erzählt, dass er seine Farm zu grossen Teilen fertig gestellt hat. Ich hatte ihm Geld mitgegeben, dass er sich Unterstützung, Pflanz- und Saatgut dazu holen kann. Selbes gilt für Leda. Es ist keine einfache Aufgabe, aber wir bleiben am Ball und hoffen, in Madagaskar eine „Agrar-Revolution“ anzuschieben, die in die Zukunft weist. Lange nach Traktoren, Giften und Chemie-Dünger kommt das intelligente Design der lebendigen Prozesse. Anstatt antiquierten. lauten Maschinen, welche ausserhalb von jedem natürlichen Kontext operieren (Agro-Industrie), arbeiten intelligente Ökosysteme. Blattwurf, Wind, Regenwürmer, Regen, Grundwasser, Polykultur, Biodiversität. Lebendige Maschinen ersetzen die starren Systeme der Vergangenheit. So wird Madagaskar vom Mittelalter direkt ins 21. Jahrhundert gehen.
Soziale Technologie: Soziale Systeme
Auf menschlicher Ebene war und ist der Einfluss der Europäer eine Katastrophe. Wir Europäer sind mit unseren menschlichen Qualitäten nicht gerade die am besten entwickelten Menschen. Das gilt vor allem für die Europäer, welche vor den 1970ern gelebt haben. Mord, Raub, Gier, Ausbeutung – Kolonialismus, um dem Kind einen Namen zu geben. Es waren nicht unsere „menschlichen Werte“, welche uns über alle anderen Kulturen erhoben haben, sondern unsere Fähigkeit zu töten. Überall auf dem Planeten haben wir diese Fähigkeit unter Beweis gestellt und tun dies bis heute. Wir nutzen bis heute unsere Tötungsmaschinerie um Erdöl, Uran, billige Arbeiter und dergleichen für unsere Ökonomie „verfügbar“ zu machen.
Dass in Madagaskar das Vertrauen zwischen den Menschen zerbrochen ist und die Menschen klauen, wo es nur geht, das hat sehr viel mit den Europäern zu tun. Klassisch gab es in Madagaskar den Fihavanana, eine blühende Kultur des Miteinanders. Natürlich gab es auch da Kriminalität, aber in vertretbarem Masse. Noch bis in die 80er Jahre hinein wurde Madagaskar von den Besuchern als friedlichster Ort der Welt gesehen, der Fihavanana war in den meisten Landesteilen noch stark. Heute ist er weitestgehend geschwächt durch Popkultur, „Demokratie“ (=Korruption und Willkür der Reichen), Geld und dergleichen mehr.
Was dazu kommt, und nicht direkt mit uns Europäern zu tun hat, ist das Klassenverständnis der Madegassen. Sie leben in vielen Aspekten noch im Mittelalter. Wer es zu etwas gebracht hat, der muss nicht mehr arbeiten (Die Logik des Feudalismus). Das hat üble Folgen – belohnt man zum Beispiel besonders fleissige Mitarbeiter mit besserem Lohn und weiterführenden Kompetenzen, dann legen sie im Normalfall die Schaufel hin; selbst wenn es keinen Sinn macht. Status in der Gesellschaft ist extrem wichtig, und fast jeder strebt danach, sich von den Armen, arbeitenden Menschen abzuheben. Diese Mentalität ist in Europa und Nordamerika zum Glück fast ausgestorben. Die kulturellen Revolutionen der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, der Menschenrechte, der Aufklärung und nicht zuletzt der kulturellen Jugendrevolution der 68er Bewegung haben unsere Kultur nachhaltig geändert. Als Europäer/in ist man Stolz auf seine Arbeit. Handwerker sind angesehen, auch traditionell. Hier in Madagaskar ist das ganz anders. Und dies ist ein Hemmnis dafür, dass so etwas wie ein allgemeiner Wohlstand entsteht. Da können wir Europäer noch so viele Millionen investieren, Geld wird diese Herausforderungen nicht lösen. Eher im Gegenteil. Die Mittel fliessen oftmals direkt oder indirekt zu den Oberen, was den herrschenden Feudalismus stärkt und die Lage zementiert.
Resumée:
Um in Madagaskar, in Afrika, aber auch bei uns in der „westlichen Welt“, die Herausforderungen zu lösen, müssen wir ganzheitlich denken. Nicht in Einzeltechniken, Einzellösungen und abgeschotteten Regionen. Alles hängt zusammen und Permakultur als Ingenieurskunst hilft uns Prima, diese Zusammenhänge in eine rationale, wissenschaftliche und gleichzeitig lebendige Planung einzubringen. Technologie, Ökologie und Menschliches muss zusammen kommen. Alle Aspekte sind zu beachten. So ist zum Beispiel die saubere Energie in Europa durch Macht- und Wirtschaftsinteressen verdrängt worden und diese „Mächtigen“ sitzen bis heute in ihrem Sattel. Viele alte Strukturen existieren recht unsichtbar und erschweren den Wandel. Das können wir nicht technologisch lösen, auch nicht mit Subventionen. Probleme müssen an ihrer Ursache gelöst werden, oder eben nicht. Das sollten Entwicklungs-Projekte genauso beachten wie wir Europäer bei unserem Weg in die Zukunft. Gesellschafts-Strukturen und Eigentumsverhältnisse können einen Wandel erfolgreich verhindern, so sinnvoll und wichtig es auch sein mag, das Verhalten zu ändern. So gab es zum Beispiel viele sehr gute Technologien im Verkehrsbereich und im Bereich Energie. Diese sind verschwunden und so glaube ich auch kaum, dass die aktuellen „Fortschritte“ wirklich was ändern werden. Nicht, solange wir nicht einen sozialen Wandel vollzogen haben, einen Wandel im Geist und vor allem einen Wandel unserer „inneren Antriebe“. Solange Macht, Gier, Besitzstreben etc. unsere Antriebskraft sind, wird Konkurrenz, Mangel, Ausbeutung etc. die logische Folge sein. Wir brauchen ein neues „Mensch-Sein“. Ein neues Bild von uns selbst, welches unsere Taten leitet und unser Leben erfüllt.
Wenn wir so weiter machen wie bisher, und im Moment tun wir dies mit Vollgas, dann wird eine Zeit kommen, in welcher es egal ist, wer wie viel Macht hat. Wer wie viele Waffen besitzt, Autos und Villen am Zürcher See und in Monaco.
Dann zählen wir die verbleibenden Fische im Ozean, die Bäume und die noch funktionierenden Ökosysteme, welche uns am Leben halten. Wir werden den Erfolg von Landwirtschaft an der Menge des Grundwassers, der Güte des Bodens und der Reinheit und Gesundheit der Nahrung messen — nicht am Gewicht der Ernte.
Wir werden Menschen nach ihrer Grosszügigkeit messen, an ihrem Engagement für die Gemeinschaft – und nicht mehr an ihrem Mass an Egoismus und der Fähigkeit, Unmengen anzuhäufen, egal auf welche Art.
Wir werden unsere eigene Grösse erkennen, dass wir niemandem ausser uns selbst und dem Universum verpflichtet sind – dann werden wir aufhören uns unter- und überzuordnen; weil es keinen Sinn macht.
Bis dahin liegt es an uns, wie wir diesen Weg beschreiten, und wie lange es gehen wird.
Jeder von uns hat es in der Hand, es ist ein kollektiver Prozess und jeder bestimmt seinen eigenen Anteil daran. Das mag entmutigen, weil es keinen „Erlöser“ gibt, der kommt und alles regelt. Und es ist ermutigend, weil wir nicht auf den „Erlöser“ warten müssen, sondern hier und heute uns selbst erlösen können. Jeder für sich und wir alle im kollektiv.
Damit beende ich diesen Einsatz. Ich werde ein Jahr Pause machen, Zeit für mich nehmen. Dann geht es in die nächste Runde. Mit neuer Kraft und neuen Ideen.
Nehme gerne Kontakt auf, info@permapartner.org.
Und vor allem: nehme dein eigenes Leben in die Hand. Denn du bist dein Souverän.