TENAQUIP (Teil 2)

Donnerstag, 7.6.2018

Der Schulhof ist relativ gross, ein erodiertes Stück Land. Ein bisschen Öde ist es, trostlos fast. Kaum Schatten, keine Geborgenheit. Schön ist es nicht. Die Häuser sind relativ schöne, grosse Backsteinhäuser. Sie haben Gitter vor den Fenstern wie ein Gefängniss, aber das muss leider sein, dass niemand einbricht. Sonst sind es nette Häuser mit hübschen Balkonen. Der Schulhof wurde nie so recht gestaltet. Es gibt hier und da schöne Ecken, im gesamten aber wünsche ich mir seit meinem ersten Besuch hier vor drei Jahren, dass der Schulhof schön wird. Nun ist die Zeit gekommen. Mein Wunsch erfüllt sich nun, diesen fast 700 Kindern eine Schöne Umgebung bauen zu dürfen.

Teichbau

Seit drei Jahren bewegt mich der Platz. Ich überlege mir, wie eine Gestaltung auf die Kinder wirken kann. Was die Bedürfnisse der Kinder sind und wie wir diese am besten erfüllen können. Die kleinen suchen Schutz und Geborgenheit, die etwas grösseren das Abenteuer im näheren Umfeld. Die älteren wollen für sich sein, unter anderem um sich selbst zu entdecken und ihre eigene Identität zu entwickeln. Natürlich auch, um mal heimlich etwas verbotenes zu tun und Grenzen zu überspringen. Man kann diese Verhaltensweisen auf dem vorhanden Schulhof entdecken, und für diese Bedürfnisse möchte ich gerne Räume schaffen. Räume wirken. Jede kann dies bei sich selbst feststellen, wenn sie sich in einem Park befindet, in einem Einkaufszentrum, auf einem Markt oder auf einer lärmenden Strasse. Die Umgebung beeinflusst die eigene Stimmung, das Wohlbefinden, ja sogar den Geist und die Gedanken. Dieser Effekt kann genutzt werden, um Menschen zu beeinflussen. Im negativen wie im positiven.

Die Umgebung der Kinder ist im gesamten sehr herausfordernd. Sie wachsen in Armut auf und oft genug erleben sie eine angespannte Situation im Elternhaus. Nicht wenige sind Waisenkinder und es fehlt an dem Allernötigsten. Ich denke viele der Kinder haben einen schweren Kopf in der Schule und ihre Gedanken mögen oftmals bei der schweren Feldarbeit sein, bei dem Streit der Eltern am Abend vorher oder bei sonstigen Alltagsproblemen. Zum lernen aber sollten junge Menschen sich wohl fühlen und den Kopf frei haben. Das wird u.a. von Marslov und anderen schon lange klar dargelegt. Und so ist eines der Designziele, den Kindern eine schöne Umgebung zu schaffen. Einen Ort, in welchen Sie eintreten und die harte Umgebung und den Alltagskampf hinter sich lassen. Im Allgemeinen sind die Madegassen ein sehr gemütliches, sehr freundliches und friedliches Volk. Tolle Menschen. Und doch sollte all das nicht über die Situation hinweg täuschen, in welcher wir uns hier befinden. Und sei es nur, dass quasi jeglicher Zahnschmerz ausgehalten werden muss, bis er jeweils zu-Ende ist (inkl. dem Zahn).

Die jungen Menschen sollen also einen Ort betreten, welcher anders ist. Eine andere Welt, in welcher Sie neues entdecken können, Ihrer Neugierde folgen können und ihren Geist entfalten. Einen Ort der grün ist, üppig, kühl und angenehm. Ein Ort, an welchem tausende Fruchtbäume stehen und es mehr als nur genug zu Essen gibt. Einen Ort, an dem Heilpflanzen wachsen, und so der Garten eine Apotheke ist. Es soll eine grüne Oase sein, ein kleines Paradies, in welchem die Jungen Menschen sich ein neues Madagaskar erträumen können. Eine Vision, eine Perspektive, wie es auch aussehen kann. Dass harte Feldarbeit und magere Ernten nur eine Option sind.

Koko und Arsen, der Taubstumme, mit Schülern.

Es soll auch ein handfester Produktionsbetrieb sein. Um die Schule herum wird der bisherige Garten zu einem grossen, professionellen Produktionsbetrieb, welcher Essen für die Kantine und für den Verkauf produziert. Einerseits um das Budget zu entlasten und andererseits die Schule mit-zu finanzieren. Wenn wir dieses Ziel erreichen, und das liegt durchaus im Bereich des möglichen, dann gibt es noch eine weitere, sehr schöne Perspektive. Ein Teil der Schulabgänger kann dann hier eine Ausbildung machen und selbst lernen, wie in der hiesigen Umwelt erfolgreich Fülle und Wohlstand kreiert werden kann. Schon zur Schulzeit können die Kinder die Gärten bewirtschaften und so genug lernen, sich Zuhause selbst zu versorgen. In der Ausbildung können sie Ihr Wissen vertiefen und vor allem auch das Anlegen der Wassersysteme, Terrassen etc. lernen. Für viele Schulen in Madagaskar, und auch hier, ist das Follow Up eine grosse Frage, also die beruflicher Perspektive. Die grosse Stadt verlockt natürlich sehr, während hier draussen nicht viele Möglichkeiten vorhanden sind. So sind die grossen Städte bereits heute überflutet, chaotisch und die Infrastrukturen weit über ihre Grenzen überlastet. Eine anständige Arbeit findet sich eher selten, und so halten sie die Menschen mit schlechten Jobs und auch mit betteln über Wasser. Der Weg zurück aufs Land ist aber auch oftmals verbaut, da sie nicht mehr die Fähigkeiten besitzen, das Land verkauft wurde oder an jemanden anderen in der Familie ging.

Schaffen wir es, hier eine produktive Landschaft zu erstellen, mitten in der Erodierten, degradierten Landschaft, kann neues Leben erblühen, die Menschen können Mut schöpfen und evtl. reicht es dann auch irgendwann für den Zahnarzt und ein paar neue Turnschuhe. (Ein Beispiel hierfür befindet sich in China -> Lessons from the Löesplateau)

Mit relativ kleinen Gruppen beginne ich Details und Ecken zu gestalten. Da es nicht ganz so einfache Formen sind, und viele Stellen, versuche ich es so aufzuteilen, dass wenige eine Weile dranbleiben. Ich versuche sie in den Gestaltungsprozess mit einzubeziehen. Es gelingt ganz gut, und so wird es auch ein bisschen zu ihrem eigenen Projekt.  Sie handeln aus eigener Motivation, was sich sichtbar auf das Arbeitsergebnis auswirkt. Stufen und Treppen, in schwungvollen organischen Formen, sind das hauptsächliche Design-Element. Auf Stufen und Treppen sitzen Menschen gerne, es entstehen soziale Treffpunkte, Grenzen und darin Räume. Der Eingangbereich soll Einladen, Weite bieten und Erhabenheit. Kleine Plätze welche Schutz und Geborgenheit bieten wechseln sich ab mit grossen freien Räumen, in welchen sich die Menschen sehen und gesehen werden. Platz für Spiele, für Basketball und Fussball entstehen. Die Kleinen sind in der Nähe der Küche angesiedelt, wo stets das Küchenteam und der Wächter anwesend sind. Das gibt Schutz und Geborgenheit. Diesen Raum zu halten wird nicht ganz einfach, weil gleichzeitig eine Menge Logistik hier stattfindet und die Kinder für die Kantine anstehen. Die Jüngsten sind nicht älter als vier Jahre alt und gehen geradezu unter in diesem Gewimmel.

Es sind rund drei Hektar Land, und so haben wir noch jede Menge vor uns. Langsam, während der Bauarbeiten, entfaltet sich in einem kreativen Prozess der neue Schulhof, die grüne Oase Tenaquip.

Freitag, 08.06.2018

Heute fahre ich raus in die Stadt, um einzukaufen, Geld zu holen und gescheites Internet zu haben, mit welchem ich diesen Bericht hier schreiben kann. Am Morgen bespreche ich nochmals alle Arbeiten, wähle zusammen mit Jean Noel die 15 besten der jungen Studenten aus und kümmere mich um die Bezahlung der Arbeiter. Heute Nacht saß ich noch bis spät, habe Material gerichtet, die Abrechnungen gemacht und das Budget geprüft. Ich konnte kaum schlafen, so habe ich auch recht wenig Energie. Ich schaffe es trotzdem die Baustelle zu managen und alles ordentlich ins Wochenende gehen zu lassen. Drei Trupps werden auch am Samstag arbeiten. Dann fahren wir los und kommen noch gerade so pünktlich zur Bank, um Geld abzuheben.

Küchenteam

Das eindrücklichste Erlebnis heute hatte ich mit Jean-Noel. Die Teambildung und das menschliche übertrifft bisher schon alles, was ich bisher in Madagaskar erlebt habe. Das Team der Schule, die Studenten, unsere Betsileo Arbeiter. Es herrscht gegenseitiges Vertrauen, Respekt und Anerkennung. Nach der harten Erfahrung in Menalamba steigt meine Motivation wieder langsam, und meine Lust, etwas in diesem Land zu tun.

Nun, Jean-Noel hat ja wie Rivo seit 15 Monaten die Subventions-Gelder für die Bauern seiner Region erhalten. Es waren nicht ganz so grosse Summen, wie Rivo zu verwalten hatte (weil weniger Bauern), aber ähnliche Beträge. Letzte Woche hatte ich ihm das Geld gesendet, um die Bus-Tickets fürs ganze Team zu bezahlen. Dann fragte er mich noch um einen Vorschuss für Hugh seine Frau. So hatte ich ihm in vollem Vertrauen den doppelten Lohn zugesandt, welchen er für die drei Wochen zu erwarten hatte. 300 000AR. Natürlich hatte ich gemischte Gefühle, aber mir blieb nicht viel anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Er hätte easy das Geld nehmen können, ohne dann zur Arbeit zu kommen. Er ist aber gekommen, und mit ihm drei super Jungs. Jean-Noel hat mir ein Heft gegeben, in welchem die ganze Jahres-Abrechnung nachvollziebar wurde. Und auf einer Seite hatte er notiert, dass er 628 000AR für sich selbst genutzt hatte, ausserhalb seinem Lohn. Dies hat er mir gleich sagen wollen, ich hatte es aber nicht recht verstanden und hatte zuvor keine Zeit. Heute aber, als ich das Heft wieder hervorgeholt habe, hatte er es mir erklärt. Ich habe ihm den Kredit gewährt und ihm zugesagt, dass er zuerst sein Haus fertig bauen kann, bevor er das Geld zurück zahlt.

Auch wenn wir aus zwei anderen Welten kommen und Armut und Reichtum uns trennen – wir arbeiten Kollegial zusammen.

Es hat mich recht umgehauen. Er nicht nur nicht die 300 000AR einfach so eingesteckt, nein, er ist gekommen um ehrlich sein Geld zu verdienen, und hat mir gesagt, dass er mir noch 628 000AR schuldet. Ich werde ihm natürlich noch erklären, dass er das nächste mal vorher fragen muss, aber ich sehe er ist ein korrekter Mann, auf den wir uns verlassen können.

Unter den Studenten befinden sich auch einige sehr gute Leute. Berthin, Lidia und Lead beeindrucken mich immer wieder. Wir treffen uns als Menschen, über alle Hürden und Unterschiede hinweg. Lange hatte ich nach Menschen gesucht, die wirklich Interesse haben und den benötigten Charakter, um etwas in ihrem Leben zu machen. Menschen, mit denen wir gemeinsam etwas in diesem Land bewegen können. Nicht als Hilfe, sondern als Kooperation.

Berthain, Michelle und Dada-Be!

Ich schöpfe neuen Mut. Nach den herben Rückschlägen sehe ich neue Möglichkeiten, und das Vertrauen von Jean-Noel tut gut.

Danke Zanahary, Misaotra betsaka ny olon velona!

Soviel heute vom Permapartner-Team!

Ich wünsche euch eine schöne Zeit, danke für das Interesse!

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